PlatonAristotelesEpikurSpinozaLockeKantHegelMarxAdornoMarcuseBloch

English Site Logo    Grafic Logo Erinyes

Erinnyen Aktuell ButtonPhilosophieseite ButtonSchuledialektik ButtonVereindialektik ButtonBuchladen ButtonWeblog ButtonRedakteur Button

 

Home Button
About Erinyes Button
Button DeterminismusSpinoza Button
Association Button
News Button
Imprint Button

 

RSS-Feed Button

 

Newsletter Button

 


Titel Determinismus

Wissenschaftliche Philosophie

Vorbemerkung der
„Erinnyen. Zeitschrift für materialistische Ethik“

Deterministische Auffassungen (alles ist vorherbestimmt und festgelegt) und ein missverstandener Monismus (Einheit der Welt ohne geistige Differenz dazu) sind unserer Auffassung nach falsches Denken, das fatale Konsequenzen für eine sozialistische Praxis hat.

Vor einiger Zeit hat ein Robert Zion, der aus der Tradition von Deleuze, der Postmoderne und Negri stammt, den „Erinnyen“ einen Text angeboten mit dem Titel „Eine spinozianische Grundlegung der Linken“ (1). Da die Thesen Spinozas immer wieder hochkommen, haben die „Erinnyen“ eine Entgegnung geschrieben, die von unserem Redakteur Bodo Gaßmann verfasst wurde und im Folgenden abgedruckt ist. Der Autor geht dabei auch grundsätzlich auf das Verhältnis von Philosophie und linker Bewegung ein und kritisiert falsches Philosophieren in der Geschichte der Linken nach Marx.

In einem zweiten Text untersucht Gaßmann die Philosophie Spinozas selbst als ein Moment im Fortschritt des menschlichen Denkens seit Ockham und Descartes. Dabei hebt er auch die Grenzen des Denkens von Spinoza heraus, was umso nötiger ist, als Spinoza immer wieder herhalten muss für falsches Spekulieren in der Gegenwart, wie es sich zuletzt bei Zion zeigt.

 Divider

Bodo Gaßmann

Die linke Sehnsucht nach
Monismus und Determinismus


(Gegen Robert Zion u.a.)

1. Die Linke und die Philosophie

2. Pseudophilosophien à la LacanCan und DerridaDa

3. Die linke Sehnsucht nach Determinismus

4. Gegen eine „spinozianische Grundlegung der Linken“ / Kritik des Monismus

5. Menschliche Arbeit und freier Wille –
Marxkritik à la Zion

6. Die Negation der theoretischen Voraussetzungen der Gesellschaftskritik bei Zion

Anmerkungen

Literatur

Divider

1. Die Linke und die Philosophie

Seit die Philosophie entstanden ist, kann keine soziale Bewegung, die immer auch eine geistige Bewegung impliziert, ohne philosophische Begründung auskommen, will sie sich nicht am jeweiligen Stand der Vernunft blamieren. Bereits die Propheten, die den Dekalog entwickelt haben, offenbaren implizit den Einfluss der sich gerade erst entwickelnden Philosophie; noch mehr gilt dies vom Neuplatonismus der Apostel. Gerade Lenin hat durch seine philosophischen Schriften auf den Aspekt des geistigen und auch philosophischen Kampfes mit den Gegnern immer wieder hingewiesen. Aber gerade an Lenin zeigt sich, dass die Instrumentalisierung der Philosophie und ihre Reduktion auf eine „Weltanschauung“ das nicht leisten kann, was von ihr verlangt werden muss: die wahre Begründung ihrer Thesen. Galt einst die Losung: „Die Wahrheit ist unsere Stärke“, so wurde die Wahrheit schon bei Lenin zur Ideologie (wörtlich, im Nachhinein auch in der Bedeutung von falschem Bewusstsein) und die Stärke der Wahrheit war bestenfalls bei einigen isolierten Intellektuellen aufgehoben, bis schließlich der Begriff der Wahrheit selbst in der Postmoderne (so bei Lyotard) abgeschafft wurde. Gibt es aber keine Wahrheit mehr, dann ist jeder philosophische Blödsinn präsentabel, dann wird die theoretische Schizophrenie zur Normalität, dann sind Ideologien nicht mehr kritisierbar, dann ist jede Aktion gerechtfertigt vom Steinewerfer bis zum politischen Opportunismus…

Wenn ich über die Linke und die Philosophie schreibe, dann sind ihre Theoretiker von Friedrich Engels über Plechanow, Kautsky und Lenin bis hin zu den heutigen linken Pseudophilosophen gemeint. Alles Gerede über Philosophie zu kritisieren, was heute bei linken Theoretikern von sich gegeben wird, wäre eine unendliche Aufgabe. Deshalb stehen die zitierten Autoren in diesem Text exemplarisch für ähnliche Tendenzen. (Zum Glück aber gibt es auch Philosophen, die nicht dieser Kritik verfallen.)

Die Philosophie wird bei vielen kommunistischen und sozialistischen Theoretikern als Bekenntnis oder als  Weltanschauung angesehen. Philosophische Gedanken werden auf ihre historischen Bedingungen zurückgeführt und im historischen Material ertränkt oder lediglich nach ihrer Funktion beurteilt. Jede Auffassung wird eingeordnet in Materialismus oder Idealismus, in Halbmaterialismus und Viertelmaterialismus, in Monismus oder Dualismus, in radikale und gemäßigte Aufklärung oder Antiaufklärung, in marxistische oder bürgerliche Philosophie. Erkennst du meine Thesen an, dann bist du mein Anhänger und Parteifreund, kritisierst du mich, dann bist du mein Feind und politischer Gegner. Selten kann man aus den Texten über Philosophie erkennen, ob der Schreiber die Werke überhaupt verstanden hat, über die er sich auslässt. Warum auch? Ihn interessiert nur die Hauptthese und ihre politische Verwertbarkeit – und beides findet er in den Nebenbemerkungen der Klassiker des „Marxismus“ oder bei den heutigen Modephilosophen. Derart kann man aus Marx einen Transzendental-Philosophen, einen hegelschen Dialektiker oder einen Empiristen herauslesen.

Implizit wird dadurch die Philosophie instrumentalisiert für nicht durch die Vernunft legitimierte Ziele, weil es gar keine wahren, d.h. vernünftig begründeten Ziel mehr geben kann. Wahrheit aber muss um ihrer selbst willen erkannt und anerkannt werden. Was also nicht gemacht wird, was gar nicht interessiert, ist das Wesen des philosophischen Denkens – das Argumentieren. Da man sich bloß auf das caput mortum, die isolierten Sätze, stützt, kommt man gar nicht zum Philosophieren, sondern redet nur über Philosophie oder benutzt ihre Sätze als Dogmen.

Dagegen wird hier die These vertreten, dass es völlig unwichtig ist, ob jemand Idealist oder Materialist ist, Rationalist oder Empirist, Kantianer oder Hegelianer, Marxist oder Revisionist – entscheidend ist, ob er wahre Gedanken begründet hat, und das heißt, ob er argumentierend zum Fortschritt der Erkenntnis beigetragen hat.

Es wird sich dann zeigen (was im Einzelnen zu beweisen ist), dass die Geschichte der Philosophie ein Fortschritt des menschlichen Geistes zur Wahrheit darstellt – durch die kontinuierliche Abfolge der Gedanke wie durch schroffe Brüche und die Wiederaufnahme vorschnell abgetaner Positionen hindurch. Immer aber muss das Ziel die Wahrheit sein, nicht das Legitimationsinteresse einer politischen Partei oder die Karriere des jeweiligen Autors. Wahrheit aber entsteht aus der immanenten Kritik, aus Beweisgründen (Argumenten) und aus stringenten Schlussfolgerungen – nicht aus dem Gequatsche über einzelne Philosophien, nicht aus der bürokratischen Einordnung dieses oder jenes Denkers, nicht aus der Möglichkeit, bestimmte Gedanken zu instrumentalisieren.

Gegen die Parteiauffassungen von Philosophie wenden sich Philosophen wie Deleuze, Negri u. a., indem sie in das andere Extrem verfallen und Philosophie bloß als Steinbruch für ihr wildes Denken verwenden, das begriffliches Denken in Psychologie oder Sprachanalyse auflösen, indem sie skeptisch notwendig wahre Urteile leugnen, dennoch aber ontologische Begriffe fordern, die gesamte philosophische Tradition sich punktuell einverleiben, ohne sie als Entwicklung zur Wahrheit begreifen zu können, ja inden sie als Postmoderne den Begriff der Wahrheit ganz eliminieren und damit den rationalen Anspruch, stichhaltige Kritik am Kapitalismus zu liefern. Statt wahrer Urteile liefern sie nur wie einst Popper „Hypothesen“ (Negri), statt systematischer Argumentation „Begriffskaskaden“ (Deleuze), statt schlüssiger Begründung Geschwätz (Zion).

Eine typische Fehlleistung dieser Art zu philosophieren ist die Verwischung von Wesen und Erscheinung. Als Kepler seine Gesetze entdeckte, konnte man entgegen dem Augenschein nicht mehr von einer Bewegung der Sonne um die Erde, sondern nur von einer Drehung der Erde um sich selbst und ihre jährliche Bewegung um die Sonne sprechen. Die Keplerschen Gesetze (mit ihrer Absicherung durch die Newtonschen Physik) sind das Wesen der Planetenbewegungen, alle Erscheinungen, die wir empirisch konstatieren können (wie Umlaufgeschwindigkeit usw.), finden in diesem Wesen ihre Erklärung, aber nicht umgekehrt. So sind auch die Gesetze der kapitalistischen Produktionsweise, wie sie Marx in seiner Kapitalanalyse entwickelt hat, z. B. das Wertgesetz, das Wesen dieser Produktionsweise, alle Erscheinungen müssen auf dieses Wesen bezogen werden, um sie begreifen zu können. Selbst Abweichungen von diesem Wesen der kapitalistischen Ökonomie sind nur als solche erkennbar, wenn ich das Wesen kenne.

Diese Einsicht vergessen die Autoren, die immer neue Epochen des Kapitalismus konstruieren, wie etwa Kautsky, der vom organisierten Kapitalismus spricht, Lenin, der den Monopolkapitalismus erfindet (2), Bischoff, der über den Fordismus und Nachfordismus schreibt, und schließlich Hardt/Negri, die ein neues Empire (3) erfinden. Selbstverständlich ändert der Kapitalismus sich in seinen Erscheinungen, so wie ein Baum, der neue Triebe schießt, während andere absterben. Dass die Veränderungen sein Wesen verändern, kann nicht im Herumwühlen in den Erscheinungen begründet werden, sondern müsste in systematischer Argumentation rational und mittels der Reflexion der ökonomiewissenschaftlichen Tradition  entwickelt werden. Da aber die Welt als Ganze nicht als System zu konstruieren ist, verzichten sie Erscheinungswühler ganz auf dem „esprit systematik“ (4).

Zurück zum Anfang

2. Pseudophilosophien a la LacanCan und DerridaDa

Schließlich kommen Lyotard und andere „postmoderne“ Philosophen, die eine Differenz von Wesen und Erscheinungen völlig einebnen und jede Theorie zu einer Erzählung herabsetzen, also hinter Thales und die Entstehung der Philosophie zurück in den Mythos fallen und damit den Begriff der Wahrheit ganz eliminieren, sodass den Lohnabhängigen noch der Anspruch auf Wahrheit ihrer Kritik am leichenträchtigen Kapitalismus  versagt wird. Spätestens bei dieser Überlegung wird das reaktionäre Erkenntnisinteresse dieser Richtungen klar: Sie wollen selbst den bestimmten Gedanken an eine Alternative als undenkbar eliminieren – auch wenn sie dies in revolutionäre Rhetorik hüllen. Statt einer bestimmten Negation beschränken sie sie wie einst Spinoza auf die abstrakte Negation, die bei Negri „Verweigerung“ heißt (vgl. Empire, S. 214).

Zion ordnet sich in diese Reihe der Konfusionen ein. So kann er die deterministische Ontologie Spinozas mit dem extremen Skeptizismus eines Deleuze kombinieren zu einem unverständlichen Amalgam von Termini. Dass die deterministische Ontologie von Spinoza das kontradiktorische Gegenteil von Deleuze „transzendentalen Empirismus“ ist, stört ihn dabei anscheinend gar nicht, er bezieht sich affirmativ auf beide. Die schematische Affektenlehre Spinozas ist konträr zu den Ideen und wilden Behauptungen des „Anti-Ödipus“, die Behauptung der Identität von Sein und Denken bei Spinoza widerspricht der radikalen Trennung von Erkenntnis- und Seinsprinzipien bei Deleuze (5). Die strenge geometrische Methode Spinozas widerspricht Deleuzes und Zions „Begriffskaskaden“. Ein Beispiel hierfür ist Zions Entgegnung der Kritik von Reiter.

„So sehr ich Karl Reitters Betonung der zweifellos vorhandenen cartesianischen Momente bei Spinoza (gewissermaßen der schulphilosophische Rationalist) nachvollziehen kann, so sehr würde ich aber auf der – in der Tat – Verflachung (auf eine zweidimensionale Fläche) des ontologischen Raumes beharren wollen (Analog zum „glatten Raum“ des Empire). Nun ist das Begriffspaar Zusammensetzung/Zersetzung zwar in Tat ein Schematismus, aber keineswegs ein Dualismus, eher ein Dynamismus.[1] Obwohl viele Deleuzeianer diese Tendenz haben, denke ich dennoch, dass wir damit nicht notwendigerweise bei Bergson/Nietzsche landen. Eben was das „geistige Klima“ betrifft, so scheint doch Deleuze immer auf ein „Dazwischen“ zu zielen: der „Philosoph der Vereinigten Provinzen“ (wie übrigens auch Leibniz!) steht für Deleuze und Negri zwischen Theologie und rationaler Metaphysik, zwischen Humanismus und Aufklärung, zwischen Konstitution und Repräsentation, Naturrecht und positivem Recht, Markt und Kapitalismus etc.“

[1] „Die Verflachung des ontologischen Raumes auf eine zweidimensionale Fläche bei Deleuze, geschieht ja eben auch in der Absicht, die Illusionen der „Tiefe“ der gesamten bürgerlichen Metaphysik zu überwinden (so etwa, wenn Deleuze Leibniz’ Weltbeschreibung als Faltungen einer Oberfläche deutet). Hinsichtlich Spinoza führt dies in der Darstellung der Triade Substanz – Attribut – Modus zu einer Ausdeutung, die eben nicht lebensphilosophisch-vitalistisch, sondern eher „kinematografisch“ ist.“ (Ebda., Hervorhebungen von B.G.) (6)

Wer soll dass verstehen? Philosophische Texte sind oft schwierig, und dann ist es meist das Unvermögen des Lesers, sie zu verstehen. Wenn aber ein Text vor Albernheiten  strotzt, dann ist er objektiv unverständlich wie diese beiden Zitate. Bei Zion wird philosophisches Denken, die höchsten Allgemeinbegriffe also, die nicht mehr anschaulich sind, mit Deleuze auf Flächen, Räume, ein Dazwischen, Faltungen der Oberfläche usw. heruntergebracht, also auf Sinnlich-Anschauliches. Durch dieses Verharren auf der Oberfläche wird also Philosophie von den beiden Autoren wieder zum Mythos herabgesetzt, der einst eine Erklärung des Unbekannten durch Unbekanntes war, oder, kinematografisch ausgedrückt: zum schlechten Film. Dazu passt die bürokratische Einteilung und Zuordnung der philosophischen Standpunkte: Das „bürgerlichen“ vor Metaphysik soll den bürgerlichen Verdummungsauftrag, den diese Richtung des Jonglierens mit Begriffen hat, verbergen. Und damit der Leser ja irrationalisiert wird, muss Leibniz zum Weltbeschreiber werden, nach der These der Postmoderne, dass alles nur eine Erzählung ist. Dazu passt die Differenz zwischen Humanismus und Aufklärung, damit ja niemand auf die Idee kommt, etwas Positives an der Aufklärung zu finden. Denn ein aufgeklärtes Bewusstsein, das selbst denkt, kann nur zu dem einzigen Schluss kommen: Des Kaisers theoretische Kleider haben sich als Luft erwiesen und der „Spinozaist“ steht nackt da. Das ist das geistige Klima, das die „Grundrisse“ in ihrer „zeitschrift für linke theorie  & debatte“ pflegen (6).

Zurück zum Anfang

3. Die linke Sehnsucht nach Determinismus

Determinismus heißt, das alles bis ins Kleinste und selbstverständlich das Größte, also das Weltall, vorherbestimmt, festgelegt nach Gesetzen funktioniert, sodass durch menschliche Praxis Alternativen zu diesem notwendigen Gang des menschlichen Geschehens und der natürlichen Entwicklung, unmöglich sind. Wendet man den Gedanken des Determinismus auf die Geschichte an, dann kann man als Sozialist und Kommunist die Gewissheit haben, dass aus dem Kapitalismus notwendig der Sozialismus hervorgehen wird – trotz gegenteiliger Erfahrungen. Alle Opfer sind dann erlaubt, weil man sich im Einklang mit der Geschichte wähnt, die zum Subjekt hypostasiert wird.

Das Gegenteil des Determinismus ist nicht Chaos, sondern anzuerkennen, dass es so etwas wie echten Zufall gibt, also ein Geschehen, das nicht gesetzmäßig abläuft, das unberechenbar ist. Für einen Deterministen dagegen ist der „Zufall“ kein echter Zufall, sondern der Schnittpunkt verschiedener Gesetzmäßigkeiten, der ihn nur deshalb als Zufall erscheint, weil er noch nicht alle Gesetzmäßigkeiten kennt (so bei Lenin und ähnlich Spinoza). Oder der Zufall wird raffinierter bestimmt als der Bereich der Erscheinungen, in denen sich die Gesetzmäßigkeiten durchsetzen. Diese hegelianische Variante des Determinismus ist über missverständliche Formulierungen von Marx über Engels zu Kautsky gelangt, der das agitatorische Moment der Wahrheit umwandelte in eine theoretische Notwendigkeit und Marx wieder zu einen linken Hegelianer degradierte.

Kautsky bringt den linken Determinismus auf den Punkt: „Der Sozialismus ist unvermeidlich, weil der Klassenkampf, weil der Sieg des Proletariats unvermeidlich ist.“ (Kautsky: Ethik, S. 144) Als Grund dafür kann er lediglich das Anwachsen der Lohnabhängigen zu seiner Zeit angeben. Kautsky hat auch das politische Bedürfnis nach dem theoretischen Determinismus offen zum Ausdruck gebracht: „Wenn Naumann recht hat, daß der Wille frei ist und ‚die Dinge so oder anders gestaltet’, dann kann er auch die Richtung der ökonomischen Entwicklung ‚so oder anders gestalten’, dann ist schlechterdings nicht einzusehen, welche Gewähr wir dafür haben, daß wir gerade in den Sozialismus hineinwachsen (so Naumann, B.G.). Dann ist es überhaupt unmöglich, irgendeine Entwicklungsrichtung der Gesellschaft zu erkennen, dann ist keine wissenschaftliche Erkenntnis der Gesellschaft möglich.“ Kautsky: Macht, S. 37) Die Gewähr dafür, dass der Sozialismus notwendig kommt – mit oder ohne Revolution -, kann aber nicht die bloße Behauptung des Determinismus begründen, auch nicht Zitate der „Klassiker“, sondern – wenn überhaupt – ein Denken, das auf dem avancierten Stand der Philosophie wäre, also auch die ganze Tradition der Philosophie reflektiert hätte, weil wir bei solchen Totalitätsaussagen nichts anderes haben als die Tradition des philosophischen Denkens als Verallgemeinerung der Erfahrungen der Menschheit.

Nach Kautsky soll das naturalistisch vorgestellte determinierte Wollen der Arbeiter sie notwendig zum Klassenkampf treiben und schließlich zur Revolution, um den Sozialismus zu errichten. Die Arbeiterklasse „braucht nur die heutige Entwicklung zu verfolgen, um daraus die Gewißheit zu schöpfen, daß ihr Sieg unabwendbar ist.“ (Kautsky: Macht, S. 55) Tatsächlich war die Arbeiterklasse in ihrer großen Mehrheit nach 1900 bereits in den Kapitalismus integriert und hat sich für die jeweiligen nationalen Kapitale im I. Weltkrieg gegenseitig abgeschlachtet.

Das hat Lenin nicht daran gehindert, die Determinationsthese von Kautsky weiter als wahr anzusehen und damit jedes Opfer für die Revolution als mit der Geschichte im Einklang zu rechtfertigen. „die Idee des Determinismus, die die Notwendigkeit der menschlichen Handlungen (?) feststellt und die unsinnige Fabel von der Willensfreiheit zurückweist, verwirft damit keineswegs die Vernunft, das Gewissen des Menschen oder eine Bewertung seines Handelns. Ganz im Gegenteil, nur die deterministische Auffassung gestattet eine strenge und richtige Bewertung und schließt aus, daß alles Mögliche auf den freien Willen abgewälzt wird. Desgleichen schmälert die Idee der historischen Notwendigkeit auch die Rolle der Persönlichkeit in der Geschichte nicht im Mindesten: alle Geschichte stellt sich gerade als die Gesamtheit der Handlungen von Personen dar, die zweifellos Handelnde sind.“ (Lenin: Werke, Bd. 1, S. 151 f.) Die berechtigte Kritik Lenins an der Erklärung gesellschaftlicher Phänomene allein aus dem „freien Willen“ macht aber seinen Determinismus nicht wahrer: Die „historische Notwendigkeit“ läge fest - die deterministisch vorgestellte Entwicklung zum Kommunismus: „Das große weltgeschichtliche Verdienst von Marx und Engels besteht darin, daß sie durch ihre wissenschaftliche Analyse den Beweis erbracht haben für die Unvermeidlichkeit des Zusammenbruchs des Kapitalismus sowie seines Übergangs zum Kommunismus, in dem es keine Ausbeutung des Menschen durch den Menschen mehr geben wird.“ (Lenin: Werke, Bd. 28, S. 160)

Nach dem Untergang der Sowjetunion und ihrer Satellitenstaaten mit samt ihrem bürokratischen Kollektivismus, in dem die Determinismusthese die allgemeine Lebenslüge (7) war, kommt dennoch immer wieder die Determinationsthese auf. Während die Hirnforscher (in ihrer Mehrheit) mit der Leugnung des freien Willens und des Zufalls auch noch den Gedanken an eine Veränderung der Gesellschaft verhindern wollen, hat diese Determinationsthese bei einigen Linken die gegenteilige Funktion: Sie wollen an den Sozialismus glauben und dafür suchen sie sich aus der Philosophiegeschichte, die für sie bloß als Ideenreservat dient, die Scheingründe zusammen, nämlich ein deterministisches Weltbild aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Dadurch abstrahieren sie aber von der Kritik an diesem Determinismus (siehe unten), blenden also die Entwicklung des Denkens nach Spinoza und d’Holbach aus, also die Entwicklung des philosophischen Denkens über Locke, Kant, Hegel und Marx.

Robert Zions Artikel: „Eine spinozianische Grundlegung der Linken – Das ökonomische Tableau in Commonwealth“ (8) ist ein neueres Beispiel für solch eine historisch verrückte Philosophie.

Zurück zum Anfang

Weiter zu:

4.Gegen eine „spinozianische Grundlegung der Linken“ / Kritik des Monismus

Divider

Hier können Sie Ihre Meinung äußern,
         einen Beitrag in unser Gästebuch formulieren,
              Kritik üben oder
                    mit uns Kontakt aufnehmen...

Logo Feedback

Divider

 

 

Impressum

© Copyright: Alle Rechte liegen bei den Erinnyen. Genaueres siehe Impressum.

Letzte Aktualisierung: 31.08.2010