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Kurze Artikel 

Wahrheit als Konsens?

Gegen Habermas

Habermas folgt dem linguistic turn, wie schon an seiner Diskursethik zu sehen war. Auch in seiner Aufsatzsammlung „Wahrheit und Rechtfertigung“ steht er affirmativ zur Wende des philosophischen Denkens auf die Sprachreflexion. „Erst die konsequent zu Ende geführte linguistische Wende kann deshalb mit dem Mentalismus auch das Erkenntnismodell der Widerspiegelung der Natur überwinden.“ (Rechtfertigung, S. 237) (1) Darin Rorty folgend fragt er nur, „ob Rorty die einleuchtende pragmatische Zuspitzung der linguistischen Wende auf die richtige Weise vornimmt.“ (Ebda.) Gegenüber einem Rückfall in den „Fundamentalismus“ (a.a.O., S. 239) auf der einen und der völligen Eliminierung des Wahrheitsbegriffs auf der anderen Seite nimmt Habermas eine mittlere Stellung ein.

Die Eliminierung des emphatischen Wahrheitsbegriffs behauptet Rorty: „Für Rorty ist jede Art der Repräsentation von etwas in der objektiven Welt eine gefährliche Illusion.“ (A.a.O., S. 238) Zwar ist auch für Habermas „Wahrheit“ nicht mehr die Übereinstimmung von Begriff und den Sachen selbst, sondern eine innersprachliche, in meiner Begrifflichkeit innermentale oder geistige, Relation: „da sich die Wahrheit von Meinungen oder Sätzen wiederum nur mit Hilfe anderer Meinungen und Sätze begründen lässt, können wir nicht aus dem Bannkreis unserer Sprache ausbrechen.“ (A.a.O., S. 246) Aber als Relation von Sätzen will er Wahrheit nicht verwerfen: „Denn die Konzeption, wonach wir uns als vergesellschaftete Individuen immer schon im sprachlich erschlossenen Horizont der Lebenswelt vorfinden, impliziert einen fraglosen Hintergrund von intersubjektiv geteilten und praktisch bewährten Überzeugungen, die einen totalen Zweifel an der Zugänglichkeit der Welt sinnlos machen. Die Sprache, aus der wir ‚nicht heraustreten’ können, darf nicht in Analogie zur Innerlichkeit eines vorstellenden Subjekts verstanden werden, das von der Außenwelt vorstellbarer Objekte wie abgeschnitten ist.“ (A.a.O., S. 248)(2)  „Als Handelnde, d.h. als interagierende und intervenierende Subjekte, stehen wir mit Dingen, über die wir Aussagen machen können, schon im Kontakt. Sprachspiele und Praktiken sind miteinander verwoben: ‚Irgendwann … müssen wir den Bereich der Sätze (und Texte) verlassen und die Übereinstimmung im Handeln und Erfahren (etwa beim Gebrauch eines Prädikats) heranziehen.’ Aus sprachphilosophischer Sicht bestätigt sich Husserls phänomenologischer Befund, daß wir ‚immer schon bei den Sachen sind’.“ (A.a.O., S. 248)

Diese Einsichten sind für Habermas aber keine Argumente für den „emphatischen Wahrheitsbegriff“, sondern sie sollen vergessen werden, sobald man wieder in die Sprachphilosophie eintritt und Sprachreflexion betreibt. „Weil handelnde Subjekte mit ‚der’ Welt zurechtkommen müssen, können sie im Kontext ihrer Lebenswelt nicht umhin, Realisten zu sein. Und sie dürfen es auch sein, weil sich ihre Sprachspiele und Praktiken, solange sie enttäuschungsfest funktionieren, im Vollzug selbst ‚bewähren’.
   Diese pragmatische – mit Hilfe der Unterstellung einer objektiven Welt realistisch gedeutete – Instanz der Vergewisserung ist auf der reflexiven Ebene handlungsentlasteter Diskurse, wo nur noch Argumente zählen, suspendiert. Hier wendet sich der Blick sozusagen von der objektiven Welt – und den Enttäuschungen, die uns im direkten Umgang mit ihr widerfahren – ab und richtet sich ausschließlich auf unsere widerstreitenden Interpretationen von Welt. In dieser intersubjektiven Dimension strittiger Interpretationen ‚bewährt’ sich eine Behauptung allein an Gründen, also an der Instanz möglicher Widerlegungen, nicht praktisch erfahrener Enttäuschungen.“ (A.a.O., S. 262)

Als ob Enttäuschungen, reale Erfahrungen, die vielleicht noch verallgemeinert wurden, nicht auch Argumente sind! Habermas trennt hier die Erfahrungen der Menschen, mit dieser die gesamte Tradition der Philosophie, insofern sie auf den verallgemeinerten Erfahrungen der Menschen (Hegel) beruht, von der linguistischen Philosophie, indem er jene zum überwundenen Paradigma erklärt, das im neuen Paradigma der linguistischen Wende nichts mehr zu suchen hat – außer der Tatsache, dass pragmatistisch überhaupt eine „Lebenswelt“ vorhanden ist. Er verunglimpft diese Geschichte der Philosophie und ihrer Differenzierungen, indem er sie pauschal zur „Widerspiegelung“ erklärt.

Im Bereich des idealen Diskurses ist jede Aussage fallibel, in der bürgerlichen Praxis darf man Realist sein; in der Wissenschaft ist die bürgerliche Alltagspraxis „außer Kraft“ gesetzt, hier herrscht das „fallibilistische Bewußtsein, daß wir uns auch im Falle gut begründeter Meinungen irren können“ (ebda.) Diese theoretische Schizophrenie erlaubt es im Bereich des Geistes falsches Bewusstsein zu erzeugen, ohne die Lebenspraxis der kapitalistischen Gesellschaft, die „Dogmatik der Lebenswelt“ (a.aO., S. 263) (3), in Frage zu stellen.

Damit er im Sprachspiel zur Verwirrung und Banalisierung der Bewusstseine freie Hand hat, muss er Wahrheit eine sprachpragmatische Umdeutung geben. Wahrheit ist nach Habermas der Konsens, der über eine Aussage herzustellen ist. „’Wahr’ heißt die Aussage, die unter idealen epistemischen Bedingungen (Putman) gerechtfertigt werden könnte oder die in einer idealen Sprechsituation (Habermas) bzw. idealen Kommunikationsgemeinschaft (Apel) ein argumentativ erzieltes Einverständnis finden würde.“ (A.a.O., S. 256)

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Kritik

Der theoretische Wahrheitsbegriff verkürzt sich bei Habermas auf die Stellungnahme zu Tatsachenbehauptungen, Wahrheit von Gesetzen (z.B. Naturgesetzen) kommen darin nicht mehr vor (vgl. Gegen Habermas, S. 111). Die Konsensthese der Wahrheit impliziert den „Zwang zu harmonisierenden Konzeptionen“, sie muss, „weil sie Verständigung als Prinzip anthropologisch und gesellschaftstheoretisch begründen will, eben die Begriffe preisgeben, die erklären könnten, warum zwanglose Verständigung, eine sehr wünschenswerte Gestaltung menschlicher Verhältnisse, bislang nicht gesellschaftliche Regel war.“ (Ebda.) Ein von Habermas geprägtes Bewusstsein hätte keine innere Instanz, keine Verweismöglichkeit auf den leichenträchtigen kapitalistischen Konkurrenzkampf, wenn der allgemeine Konsens dieses ökonomische System bejaht. Die Konsensthese der Wahrheit ist per se affirmativ auf die bestehenden Verhältnisse bezogen, deren Kritik sie behindert.

Und schließlich entscheidend: Wahrheit kann nicht auf dem Konsens beruhen, denn es gilt, „daß nicht die Allgemeinheit des Fürwahrhaltens die objektive Gültigkeit eines Urteils (…) beweise, sondern, wenn jene auch zufälliger Weise zuträfe, dieses doch nicht einen Beweis der Übereinstimmung mit dem Objekt abgeben könne; vielmehr die objektive Gültigkeit allein den Grund einer notwendigen allgemeinen Übereinstimmung ausmache.“ (Kant, Kr.d.p.V., A 25; zitiert nach Gegen Habermas, S. 144)

Die Konsenstheorie der Wahrheit erweist sich als Ideologie, weil sie zwangsläufig „den bewusstseinsphilosophischen Begriff der Autonomie der Individuen“ preisgibt, anstatt ihn gesellschaftstheoretisch in einer auf Veränderung dringenden Theorie zu retten. „Wenn nämlich (…) nur Fragen zugelassen sind, die ‚mit der Aussicht auf Konsens erörtert werden können’, dann bedeutet das, daß Erwägungen, die einem potentiell bestehenden falschen Bewusstsein aller Beteiligten eines jeweiligen praktischen Diskurses grundsätzlich inakzeptabel erscheinen würden, prinzipiell von diskursethisch geregelten Erörterungen ausgeschlossen wären.“ (Gegen Habermas, S. 135) So galt Jahrtausende lang die „Tatsache“ als Konsens, dass sich die Sonne um die Erde drehen würde. Philosophen, die das Gegenteil behaupteten, wurden als Spinner verlacht oder gar auf den Scheiterhaufen gebracht wie Giordano Bruno. Auf Grund des Waren-, Geld- und Kapitalfetisches erscheint den meisten die kapitalistische Produktionsweise „in phantasmagorische(r) Form“. „Hier scheinen die Produkte des menschlichen Kopfes mit eignem Leben begabte, untereinander und mit dem Menschen in Verhältnis stehende selbständige Gestalten.“ (Marx, MEW 23, S. 86) So gilt als Konsens, dass der Kapitalismus die der Natur des Menschen entsprechende Wirtschaftweise ist, während die Kritiker dieses Konsenses in repressiver Toleranz totgeschwiegen, als weltfremd verlacht werden oder in den Konzentrationslagern des Kapitals durch Arbeit vernichtet wurden.

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Anmerkungen

(1) An dieser Benutzung des Terminus „Widerspiegelung“, der alle philosophischen Auffassungen, die einen ontologischen Bezug herstellen, meint, lässt sich der laxe Umgang mit Begriffen bei Habermas erkennen. Bereits bei Th. v. Aquin, den man noch am ehesten unter diesen Begriff fassen könnte, ist die Auffassung von Welt immer auch subjektvermittelt (vgl. Mensching: Allgemeines, S. 200 ff.). Exakt trifft dieser Begriff lediglich Lenins Erkenntnisthese und der war Amateurphilosoph. Der laxe Umgang mit philosophischen Begriffen bei Habermas ist allgemein und steht im Widerspruch zum Anspruch der linguistischen Wende, die Sprache genau reflektieren will. Dieser Widerspruch ist allerdings nicht verwunderlich, da es dieser Richtung an einem ontologischen Fundament fehlt (vgl. „Ontologie“).

(2) Auch hier wieder die Laxheit im Umgang mit Begriffen: Die „Innerlichkeit eines vorstellenden Subjekts“ wird rein psychologisch verstanden, damit die „Subjektphilosophie“ seit Descartes psychologisiert. Aber schon bei Descartes ist das Ich nicht mehr nur individuell, sondern  - freilich noch wenig begründet und unter der Hand – das Gattungssubjekt. Dies gilt ebenfalls für den Rationalismus, und bei Kant ist das „ich denke, das alle meine Vorstellungen muss begleiten können“ quasi die Schnittstelle von Gattungssubjekt (transzendentalem Ich) und individuellem Ich. Insofern ist die Kritik an der „Bewusstseinsphilosophie“, dem „Mentalismus“ oder der „Subjektphilosophie“ keine immanente Kritik, sondern bloße Überredung (vgl. „Paradigmenwechsel“).

(3) Interessant ist, dass Habermas in diesem Aufsatz „Wahrheit und Rechtfertigung“ nicht den Unterschied von „Lebenswelt“ (Gesellschaft, Kultur, Öffentlichkeit) und „System“ (Institutionen wirtschaftlichen Handelns) macht (vgl. Gegen Habermas, S. 115 ff.), sondern anscheinend beides im Begriff der Lebenswelt involviert. Indirekt wird dadurch der Hauch von Kritik, der in dieser Begriffsdifferenzierung noch anwesend war, eliminiert. Vgl. zum Grundfehler dieser Unterscheidung von Lebenswelt und System auch Bensch: Reichtum, S. 72 f.: „Der Fehlschluß, der wissenschaftlich-technische Fortschritt sei zu einer unabhängigen Mehrwertquelle geworden, beginnt mit einer Historisierung des Kapitalverhältnisses. (…) Für Habermas gab es Kapital als es noch kein Kapital gegeben hat. Und andererseits gibt es für ihn kein Kapital mehr seitdem es Kapital gibt. Denn mit seiner Behauptung der unabhängigen Mehrwertquelle ist das Kapital nicht mehr wesentlich akkumulierter Mehrwert, der zugleich ein gesellschaftliches Produktionsverhältnis anzeigt, sondern in der Konsequenz Wissenschaft und Technik selbst, mit dem Ergebnis, daß diese Gesellschaft als Industriegesellschaft bezeichnet werden kann, in der die Spezifität des Produktionsverhältnisses ausgelöscht ist. (A.a.O., S. 73) Diese Missdeutung der politischen Ökonomie des Kapitals erlaubt Habermas dann, seine idealistische Diskurstheorie zu konzipieren, ohne auf die tatsächliche Bedingung der Möglichkeit ihrer Realisierung Rücksicht nehmen zu müssen.

Literatur

Bensch, Hans-Georg: Vom Reichtum der Gesellschaften. Mehrprodukt und Reproduktion als Freiheit und Notwendigkeit in der Kritik der Politischen Ökonomie, Lüneburg 1995.

Habermas, Jürgen: Wahrheit und Rechtfertigung. Philosophische Aufsätze, Ffm. 1999.

Günther Mensching: Das Allgemeine und das Besondere. Der Ursprung des modernen Denkens im Mittelalter, Stuttgart 1992.

Unkritische Theorie. Gegen Habermas. Hrsg. v. Gerhard Bolte, Lüneburg 1989.

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Letzte Aktualisierung: 27.08.2010