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Kurze Artikel 

Der Linguistic Turn

Die Eliminierung des emphatischen Wahrheitsbegriffs

Da alle Erkenntnisse, die wir Menschen von der äußeren Welt haben, nur in Form der Sprache prinzipiell für alle zugänglich sind, damit auch für den Einzelnen erst das sind, was sie sind, schließt eine Richtung des modernen bürgerlichen Denkens (1) auf die Reflexion der Sprache als Basistheorie für alles Wissen. Was früher die Metaphysik, dann die Erkenntnistheorie oder Logik war, wird nun von der Sprachphilosophie abgelöst – soweit der Anspruch. Habermas formuliert das so: „Was eine Tatsache ist, können wir nur mit Hilfe der Wahrheit einer Tatsachenaussage, was wirklich ist, nur in Begriffen dessen, was wahr ist, erklären. Sein ist, wie Tugendhat sagt, veritatives Sein. Und da sich die Wahrheit von Meinungen oder Sätzen wiederum nur mit Hilfe anderer Meinungen und Sätze begründen lässt, können wir nicht aus dem Bannkreis unserer Sprache ausbrechen. Dieser Umstand legt einen antifundamentalistischen Begriff von Erkenntnis und einen holistischen Begriff von Rechtfertigung nahe.“ (Habermas: Rechtfertigung, S. 246)

Bereits de Saussure, auf den sich die Theoretiker des linguistic turns berufen, hatte Sprache auf ein Zeichensystem reduziert, und zwar so, dass Zeichen die Verbindung (association) einer Vorstellung (signifé) mit einem Lautbild (signifiant) sein sollte. Damit ist jeder Bezug zum extramental Seienden getilgt, meine Welt reicht soweit, wie meine Sprache reicht (Wittgenstein). Sprache kreist in sich selbst wie ein Schachspiel, jede Figur (jedes Wort) hat seine Bedeutung nur im Gesamtzusammenhang der Regeln dieses Spiels (mit „offenen Rändern“) – Sprache wird zum Sprachspiel bzw. seinen Varianten: Das Sprachspiel der Alltagssprache, das Sprachspiel der Naturwissenschaften, das Sprachspiel der Philosophie.

Der Begriff der Wahrheit wird dadurch in der modernen Sprachphilosophie problematisch, wenn nicht gar eliminiert. „Weil wir unsere Sätze mit nichts konfrontieren können, was nicht selber schon sprachlich imprägniert ist, lassen sich keine Basisaussagen auszeichnen, die in der Weise privilegiert wären, daß sie sich von selbst legitimieren und als Grundlage einer linearen Begründungskette dienen könnten. Mit Recht betont Rorty, ‚daß etwas nur mit Bezug auf etwas anderes als Rechtfertigung gilt, das wir bereits akzeptieren’, und er schließt daraus, ‚daß wir nicht durch Heraustreten aus unserer Sprache und unseren Meinungen zu einem, vom Kriterium der Kohärenz unserer Behauptungen unabhängigen Testkriterium gelangen können’.“ (A.a.O., S. 246; vgl. dagegen „Praxiskriterium“)

Die Wendung zur Sprachanalyse geht gewöhnlich einher mit der These vom „Paradigmenwechsel“ (siehe dort), so unter anderem bei Habermas. Dadurch enthebt sich diese Richtung sogar der Begründung ihrer philosophischen Grundlagen.

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Kritik

War der Nominalismus (Sprachauffassung, nach der Sprache nur aus Zeichen besteht, die keinen ontologischen Bezug haben) im Spätmittelalter bei Ockham progressiv, obwohl theoretisch nicht befriedigend, da er die Einsicht in die konstitutive Leistung der menschlichen Subjektivität bei der Erkenntnis der Wirklichkeit ermöglichte und mit dem allgemeinen Zweifel an dem Universalienrealismus die Begründung der modernen Philosophie anregte (3), so ist der heutige Nominalismus des linguistic turn nur noch reaktionär, da entgegen der Anhäufung von Sachwahrheiten skeptizistisch alle Wahrheiten geleugnet werden zu Gunsten einer solipsistischen Sprachimmanenz.

Die Reflexion der Sprache als Grundlagenphilosophie ist ein Unding. Erst einmal hat die Philosophie schon seit ihren Anfängen ihre Sprache zum Gegenstand gehabt. Die Reflexion der Sprache ist zunächst die von natürlichen Sprachen, diese sind für die Wissenschaft zu unpräzise, weshalb die Philosophie und später dann die sich aus dieser emanzipierenden Einzelwissenschaften eigene Fachsprachen bzw. Fachterminologien entwickelten. Als natürlich Sprachen – wenn auch mit Fachterminologie – sind diese Sprachen immer nur partikulär, die Sprache einer Volksgruppe. Erst die Logik war ein Regelwerk, das allgemein gelten konnte. Als Logik aber kann diese nur die Form der Aussagen beschreiben, begründen und reflektieren. Eine Analyse der Logik von Aussagen kann immer nur deren Form, nicht deren Inhalt erfassen; eine Analyse einer natürlichen Sprache ist noch mehr eingeschränkt, insofern sie nur die Form einer partikularen Sprache zum Gegenstand hat.

Zwar muss jede inhaltliche Aussage eine Form haben, mit der Reflexion der Form wird aber kein Inhalt reflektiert. Der linguistic turn, die Hinwendung zur Sprachanalyse als Grundlagenwissenschaft, ist bestenfalls eine formale Wissenschaft, die insofern sie allgemein gültige Urteile fällt, nur die Form zum Inhalt haben kann, was die Wissenschaft der Logik besser kann. Insofern die Sprachanalyse aber auch den Inhalt der Sprache reflektiert, ist sie keine reine Sprachanalyse mehr, sondern Sachwissenschaft und hat die Kriterien und Inhalte des Gegenstandsbereichs zum Thema. Eine reine Sprachanalyse ohne Inhalt ist eine reine Formwissenschaft, also Grammatik, Sprechakttheorie usw., und selbst die kommt nicht ohne Inhalte zumindest als Beispiele aus. Eine sprachliche Formanalyse aber ohne Inhalt, ohne Gegenstand, ist bloßes Glasperlenspiel zur Belästigung des Publikums.

Tatsächlich untersucht diese Art Sprachwissenschaft mehr die vielfältigen Beziehungen, in denen sprachliche Äußerungen im Alltag stehen, als wissenschaftliche Aussagen, deren Kontext genau definiert ist und kein Herumwühlen in möglichen Erscheinungen und Bedeutungen zulässt. So werden die Dimensionen des Sprechaktes untersucht, die Funktionen von Ausdrücken und Sätzen, der Horizont der Lebenswelt, in dem sprachliche Äußerungen stehen, die Kohärenz der Wortverbindungen, die Kontextualität der Sprache, die „semantische Beziehung zwischen Ausdrücken einer Objekt- und einer Metasprache“ (a.a.O., S. 252), das „Sprachspiel der Argumentation“, die „Wahrheitsansprüche“ von Sätzen, die „Gesprächssituation“ usw.

Und wenn tatsächlich einmal ein Inhalt vorkommt, dann werden Banalitäten aufgeblasen: „Der Sinn des Prädikats in dem Satz ‚Alles was der Zeuge gestern gesagt hat, ist wahr’ lebt parasitär von dem assertorischen Modus der vom Zeugen gemachten Behauptung“. Das Resultat dieser Art Sprachanalyse ist dann die Trivialität: „Bevor eine Behauptung zitiert werden kann, muß sie ‚aufgestellt’ werden.“ (A.a.O., S. 252) Wissenschaft erschöpft sich „im Gewirr von Diskursen“ und in „gegenstandlosen Sprachspielen“ und kommt nicht mehr zur Erkenntnis realer Dinge (Mensching: „Idee“, S. 109)

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Die Eliminierung des emphatischen Begriffs der Wahrheit als eine konsequente Folge des Linguistic Turns

Der emphatische Begriff der Wahrheit bedeutet, dass es einen ontologischen Bezug der Begriffe geben muss, wie vermittelt dieser auch ist, wenn ein Satz als wahr gelten soll (vgl. „Ontologie“ und „Praxiskriterium“). Der Erfinder des Terminus Linguistic Turn ist R. Rorty (2). Er hat die Hinwendung zur Sprache radikalisiert, indem er gegen die analytische Philosophie, die den lunguistic turn unter anderem Namen bereits vollzogen hatte, bestreitet, „daß es philosophische Wahrheiten zu entdecken gibt, die durch Argumente begründet werden können“ (zitiert nach Habermas: Rechtfertigung, S. 232). Dadurch wird auch der Unterschied zwischen „überreden“ und „überzeugen“ hinfällig (a.a.O., S. 235); Goebbels hat genauso recht wie seine Gegenspieler Willi Münzenberger oder Carl von Ossietzky. Der emphatische Begriff der Wahrheit als Übereinstimmung von Begriffen und ontologischer Realität wird verabschiedet, die Geschichte der Metaphysik verfällt der „Dekonstruktion“ (a.a.O., S. 234; vgl. auch „LacanCan…“), die philosophische Tradition als „Bildungsgut“ ist zu „anästhetisieren“ wie der Wahrheitsanspruch der Philosophie der „Ästhetisierung“ verfällt und wir uns dann denkerisch in die Steinzeit zurückbewegen. Damit man diese reaktionäre Rückbildung nicht bemerkt, muss das Bewusstsein und Selbstbewusstsein der Menschen durch „Dekonstruktion der Bewußtseinsphilosophie“ eliminiert oder zum bloßen Glauben transformiert werden: So zitiert Habermas affirmativ Williams: „all we have been given is another kind of belief“ (a.a.O., S. 247).

Diese Auffassung widerspricht nicht nur den akkumulierten Wahrheiten der modernen Naturwissenschaften, dieser allgemeine Skeptizismus korrespondiert mit den Interessen der Kapitalbesitzer, die jede wahre Kritik an ihrem Wirtschaftssystem als denkunmöglich stigmatisieren wollen und so versuchen, den Lohnabhängigen noch das Bewusstsein einer Alternative zu rauben. Insofern ist diese Richtung der Philosophie ideologisch und damit bürgerlich: Sie philosophiert im Interessen der Kapitaleigner.

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Anmerkung

(1) Zunächst hat jede Denkrichtung das Anrecht, Anspruch auf mögliche Objektivität zu haben, selbst dann, wenn sie Objektivität skeptisch abstreitet. Insofern ist das Adjektiv „bürgerlich“ unangebracht. Lässt sich allerdings zeigen, dass eine Philosophie klar den Interessen der Kapitalbesitzer, ihrer Wirtschaftsweise und ihrer Eigentumsordnung dient, also partikular ist, dann verdient sie dieses Adjektiv. Sie ist dann Klassenideologie und keine Menschheitswissenschaft mehr. Die Begründung muss sich aus der immanenten Kritik ergeben und erfolgt am Schluss (siehe das Ende des Textes).

(2) Vgl. Habermas, Rechtfertigung , S. 232.

(3) Vgl. Mensching: Allgemeine, 318 ff.

Literatur

Habermas, Jürgen: Wahrheit und Rechtfertigung. Philosophische Aufsätze, Ffm. 1999.

Günther Mensching: Das Allgemeine und das Besondere. Der Ursprung des modernen Denkens im Mittelalter, Stuttgart 1992.

Mensching, Günther: „Idee“ bei Thomas von Aquin, in: Was ist Idee? Hrsg. v. Georgi Kapriew und Günther Mensching, Erlangen 2007.

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Letzte Aktualisierung: 31.08.2010